#92: "Irgendwas ist bei mir anders!“ Ehemalige DDR-Wochenkinder arbeiten ihre Erfahrungen auf
Gerade gegründet, propagierte die noch junge DDR in den fünfziger Jahren, die Mutter gehöre nicht an den Herd, sondern so schnell wie möglich wieder an ihren Arbeitsplatz. Was sich heute modern anhören mag, war in Wahrheit dem Arbeitskräftemangel infolge der Westfluchten geschuldet. Um so mehr wurde diese Tatsache mit sozialistischen Parolen und vermeintlich wissenschaftlichen Belegen überdeckt, wonach der Staat Säuglinge besser betreuen könne als die eigenen Eltern. Um es den Müttern zu ermöglichen, sich nur sechs Wochen nach der Geburt von ihren Babies zu trennen, entstand in der ganzen DDR ein dichtes Netz von Wochenkrippen: Die Kinder wurden am Montagmorgen abgegeben und erst am Samstag wieder abgeholt.
Die schnelle Wiederherstellung der mütterlichen Arbeitskraft ging zu Lasten der Kleinsten. Sie konnten keine richtige Bindung zu den Eltern aufbauen und somit in der Regel auch kein Urvertrauen. Neuere Studien belegen, dass die sogenannten Wochenkinder häufig lebenslang unter Schlafstörungen leiden sowie Probleme haben, feste Bindungen einzugehen. Auch gilt ein übersteigertes Autarkiebedürfnis als Folge frühkindlicher traumatischer Erlebnisse in der Wochenkrippe. Die waren übrigens zwar in der DDR und anderen sozialistischen Ländern weit verbreitet, doch es gab sie zumindest in den fünfziger und sechziger Jahren auch etwa in Frankreich oder Westdeutschland.
Mittlerweile organisieren sich die ehemaligen DDR-Wochenkinder in Selbsthilfegruppen und arbeiten gemeinsam ihre Erfahrungen auf. Wie das genau vonstatten geht und wie unbewusste Muster im Erwachsenenalter bewusst durchbrochen werden können – darüber reden wir in dieser Folge mit Nelia, die gerade die Wochenkinder-Selbsthilfegruppe in Potsdam aufbaut.
Gast: Nelia, Wochenkinder-Selbsthilfegruppe im SEKIZ Potsdam
Moderation: Oliver Geldener
Web: https://wochenkinder.de
https://www.sekiz.de
https://www.helpfm.de